20. Januar 2010. Ein neues Jahr.

20. Januar 2010. Ein neues Jahr.

Schau nur, da ist es!

Dort! Dort drüben! Gleich da vorne!

Ein neues Jahr. Wie, du meinst du sähest es nicht? Ja, mein Lieber, dann schiebe doch mal den Berg mit deinen guten Vorsätzen zur Seite.

Ja, so ist’s recht. Bessere Sicht jetzt? Prima.

Ach, du meinst das kennst du schon alles. Wieso denn das? Es ist doch ein völlig neues Jahr! Jungfräulich sozusagen.

Ja, natürlich wird es im neuen Jahr in China weitere Menschenrechtsverletzungen geben. Aber immerhin wollen sie die natürlich völlig haltlosen Unterstellungen ein für alle Mal entkräftigen, zum Tode Verurteilte würden je nach Nachfrage aus den Transplantationszentren mal mit Kopfschuss und mal per Blattschuss erlegt.

Ja, und selbstverständlich werden die Handelsumsätze der Welt mit den Chinesen weiterhin steigen. Du solltest aber begreifen, dass wir das Menschenrecht auf freie Meinungsäusserung immer in Relation zu den durch eine sorglose Kommunikation möglicherweise angerichteten Schäden sehen müssen. Und die empfindliche chinesische Seele bedarf auch der besonderen kommunikativen Sorge. Und mit grösserem ökonomischem Wachstum gehen auch mehr Menschenrechte einher. Ganz von alleine.

Jetzt hör doch mal auf mit den armen Chinesen. Auch zu Maos Zeiten gab es Privilegierte und nicht solche. Und diesen Film, den sie über die Enteignung chinesischer Bürger während der Vorbereitungen zu den olympischen Spielen in Peking zeigten, sie war für das grössere Wohl. Für alle Chinesen also. Bei uns gibt es diese Enteignungen ja ebenfalls, auch wenn unsere rechtsstaatlichen Verfahren etwas länger dauern.

Was sagst Du? Du siehst im kommenden Jahr auch Probleme in Israel und Palästina? Ja wo schaust du denn eigentlich hin?

Nein, ich glaube ebensowenig wie Du, dass die Israelis ihre Haltung ändern, aber deshalb muss man doch nicht immer auf ihnen herumtrampeln.

Du, pass auf, ich glaube Du bist ein verkappter Judenhasser. Man liest ja allüberall, dass der Antisemitismus weltweit zunimmt.

Wieso hat das nichts mit Antisemitismus zu tun? Ich hör’ Dich doch reden.

Na gut, zwischen Juden und Israelis unterscheidest du. Immerhin. Aber denk an ihre traumatische Vergangenheit.

Also, das ist dann doch übertrieben. Du kannst doch die Ghettos im dritten Reich nicht mit den Schutzmauern Jerusalems vor radikalpalästinensichen Überfällen auf unschuldige Siedler vergleichen! Unerhört.

Dreh’ mir das Wort nicht im Mund herum. Gleich werde ich böse. Ich sagte jüdische Siedler und nicht jüdische Invasoren. Genug jetzt. Dein neues Jahr scheint ja ordentlich düster auszuschauen. Vielleicht solltest Du es einfach überspringen.

Ach, etwas Erfreuliches siehst Du denn doch noch? Welch’ Überraschung! Erzähl!

Ah, die Klimaerwärmung. Weil dir immer zu kalt an deinen Ohren und deinen Füssen ist. Und weil du gerne im Englischen Garten in München die Palmen wachsen sehen möchtest. Und weil ein kühles Bier in der Wärme besser schmeckt, als in der Kälte.

Tja, diesem Argument kann ich mich nicht verschliessen.

Schön, dass wir beide doch noch etwas gemeinsames Positives im neuen Jahr erkennen. Mit diesem optimistischen Ausblick erhebe ich also mein Glas auf dich, auf das neue Jahr und auf all die guten Menschen, die sich zwar in der Mehrheit befinden, die aber den Mächtigen leider nur als Wahlmaschinenfutter dienen. Na dann, bis morgen mein Freund, in diesem neuen Jahr.

Du, eines wollte ich dir noch erzählen.

Ja, das gehört auch zum neuen Jahr.

Ich habe mich wieder verliebt. So richtig heftig. Mit allem, was da so dazugehört. Und wir machen verrückte Dinge, ohne damit andere zu stören oder zu verärgern, und wir sagen uns verrückte Dinge und wir haben herrliche Pläne. Und ich glaube, das wünsche ich in diesem Jahr allen Politikern auf dieser Welt: Dass sie sich so richtig ordentlich verlieben, ob in ihrer bestehenden Partner oder in Neue, und dass sie Ideen haben, wie Verliebte sie haben: Ohne Gier, ohne Rücksichtslosigkeit, aber voller Freude und voll des Wunsches, im anderen ein Lächeln und auch ein lautes Lachen hervorzuzaubern. Und solche Gedanken übertragen sich dann auch auf ihre Politik, und dann können die Tibetaner und die Chinesen miteinander lachen und die Palästinenser und die Israelis miteinander und die Afghanen alle miteinander und die Amerikaner über sich selbst und die Schweizer und die Deutschen gemeinsam und überhaupt endlich alle Welt, ob arm oder reich so richtig herzhaft miteinander lachen. Und auch die Hungrigen können lächeln, denn sie sehen den Lichtblick am Horizont, und sie wissen, dass die lachenden Präsidenten auf der ganzen Welt an sie denken und ihnen helfen, auf die Beine zu kommen. Und dann wird die Welt eine lustige Welt. Und eine lustige Welt ist doch etwas sooooo Schönes.